Betrachtungen zu isharegossip & Co

Aktuell macht ein tragischer Fall die Runde, bei dem ein Jugendlicher bei einem versuchten Schlichtungsgespräch von einer Gruppe brutal zusammengeschlagen wurde. Hintergrund war anhaltendes Mobbing gegen die Freundin des Jugendlichen. Bei dem Mobbing spielte wohl auch die Internetplattform „isharegossip“ eine Rolle.

Die Medienwelle rief recht schnell die üblichen Jugendschützer auf den Plan, allen voran unsere Familienministerin Kristina Schröder. Durch den Aspekt des Internets waren auch Datenschützer gefragt und letztlich wurde auch gefragt wie wir als Spackeria das Thema bewerten.

Im ersten Moment liegt es nahe sich auf den Standpunkt zu stellen, dass es sich hier um ein soziales Problem handelt, das sich mit technischen Maßnahmen nicht lösen lässt. Der Fokus der medialen Darstellung und die Reaktionen der Familienministerin lag aber voll auf der Internetplattform als Ursache. Strukturell gleicht das Vorgehen der Netzsperrdebatte von 2009, in der auch Symptome vorgeschoben wurden und damit eine Kultur des Wegsehens vom eigentlichen Problem gepflegt wurde.

Zum aktuellen Fall durfte man dann Zitate wie dieses von Frau Schröder bewundern: »In dieser Frage muss mir auch keiner mit einer Zensur-Debatte kommen«. Da hat sie insofern recht, als dass der Fall eine viel breitere Betrachtung verdient, als nur eine Zensurdebatte.

Die technische Betrachtung

Zunächst hinterfragen wir den Standpunkt, dass das Bekämpfen der Seite der falsche Ansatz sei. Denn die Seite spielt ja eine Rolle.

isharegossip befindet sich außerhalb des Zugriffs deutscher Behörden, in Ländern, wo solche ehrverletzenden Äußerungen durch Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die technischen und juristischen Hintergründe erläutert z.B. der Tagesspiegel.

Unabhänigig vom konkreten Fall kann man festhalten, dass da beleidigende Dinge im Netz stehen, verknüpft mit persönlichen Daten. Das ist für das betroffene Opfer schon schlimm genug. Dazu kommt dann aber noch die Mobbingsituation, in der das Opfer weiter gedemütigt wird, in dem die Täter die Existenz der unauslöschlichen, für die ganze Welt einsichtbaren Schmach dafür nutzen, das Opfer weiter zu demütigen.

Die technischen Aspekte von isharegossip und ähnlichen Seiten im Einzelnen:

Ist die Anonymität das Problem?

Wie anonym man im Netz tatsächlich unterwegs ist, ist ein eigenen Blogpost wert, aber der Internetöffentlichkeit gegenüber treten die Autoren und Kommentatoren weitestgehend anonym auf. Dass von Datenschützerseite die Forderung kommt, diese Art der Anonymität aufzulösen, wie @mspro prophezeit, sehe ich derzeit nicht. Ich wüsste derzeit auch nicht wie man das bewerkstelligen wollte. Szenarien mit dem neuen Personalausweis scheinen nicht zielführend, selbst wenn man sowas ernsthaft fordern wollte. Das funktioniert technisch schon nicht, von der politischen Dimension ganz zu schweigen (Stichwort: chinesische Verhältnisse).

Dann muss die Seite vom Netz?

Die Inhalte sind zwar nach deutschem Recht strafbar, aber anscheinend hat man keine Handhabe international vorzugehen, zumal Inhalte- und Hostinganbieter sich nicht kooperativ zeigen. Es mag zwar grenzwertig und schmerzhaft sein, aber hier lässt sich durchaus mit Meinungsfreiheit argumentieren.

Sind Netzsperren ein gangbarer Weg?

Im wesentlichen gelten hier die Erkenntnisse aus der Zensursula-Debatte von 2009. Ein Roundup der Argumente gibt u.a. beim AK Zensur. Spoiler: Die Antwort ist Nein. Einzig die Konsequenz, dass ein Löschen vorzuziehen sei, unterscheidet sich bei der Betrachtung.

Also die Indizierung durch die BPjM?

Das ist eine der Maßnahmen, die im geschilderten Fall bereits umgesetzt wurde. Damit landet die Seite u.a. auf Listen von Filtersoftwaren und fliegt aus den Suchergebnissen von google.de. Letzteres ist eine milde Form der Zensur, gleichzeitig kaum wirksam. Die Seite bleibt am Netz und ist von anderen Suchmaschinen bzw. anderen Google-Länderseiten noch auffindbar. Dennoch ist diese Maßnahme mittlerweile die Standardreaktion deutscher Behörden und passiert seit Jahren, wie den Google-FAQ um Thema entnehmen zu ist.

Kann man nicht deutsche Internetanbieter in die Pflicht nehmen?

Wenn es um private Urheberrechtsverstöße im Internet geht, wird zwar auf eine Störerhaftung zurückgegriffen, aber kommerzielle Internetanbieter sind nach deutschem Recht explizit nicht für transportierte Inhalte verantwortlich zu machen.

Das Recht auf Vergessen!

Das sogenannte „Recht auf Vergessen“ ist die Idee eines Rechtes, selektiv Inhalte aus dem Internet entfernen zu lassen. Aktuell wird es von Frankreich in der G8 vorangetrieben. Dass Fälle wie der aktuelle als Anlass genommen werden dieses Recht zu etablieren, ist zu erwarten.

Was erstmal wie eine gute Lösung klingen mag, bringt einige Fallstricke mit sich. Es gibt dieses Recht nicht und es bringt die Gefahr mit sich, dass es als Hebel für die Entfernung anderer unliebsamer Inhalte genutzt wird (Stichwort: Wikileaks). Eine genau Bewertung ist zum aktuellen Zeitpunkt aber nicht möglich, da es keine konkreten Ansätze gibt, wie dieses „Recht“ ausgestaltet sein soll. Zuendegedacht lässt da zumindest Orwell grüßen.

Selbsthilfe als Option?

Es gibt mehrere Arten der Selbstjustiz.

Einmal kann man Angriffe auf Netzwerkebene fahren und die Seite unerreichbar machen. Das ist allerdings höchst umstritten. Man pendelt da zwischen gerade noch legitimer Protestform und handfester Kriminalität. Klare Warnung: Es gibt keine legale Handlungsoption in diesem Bereich.

Man kann allerdings auch einfach inhaltlich destruktiv arbeiten und die Seite mit Müll fluten. Das wird aktuell wohl auch von einigen Schülern getan. Der Inhalteanbieter kann da aber technisch gegensteuern, augenscheinlich hat er das Problem aber aktuell nicht im Griff 😉

Was ist gewonnen?

Sicher kann man seine Energie darauf verwenden, die Seite aus dem Netz zu bekommen oder unbrauchbar zu machen. Auch kann ein Auflehnen seitens der Schüler ein Zeichen gegen Mobbing generell sein.

Letztlich sind solche Effekte aber nur punktuell wirksam und wir müssen damit umgehen, dass solche Seiten existieren und nicht verschwinden.

Was bleibt ist der Blick zur Ursache des Problems. Da wird es aber ungleich komplexer und ist mit einfachen Fragen und Antworten kaum zu beleuchten, zeigt es doch die Misstände in unserer Gesellschaft auf. Alles Gründe, warum man lieber nach einfachen und plakativen Lösungen sucht.

Die gesellschaftliche Betrachtung

Es sind Menschen, die anderen Menschen diese Dinge antun, und zwar hauptsächlich von Angesicht zu Angesicht. Die Bedrohungen finden im schulischen Alltag statt, wo die Opfer kaum Ausweichmöglichkeiten haben. Auch wenn die mediale Berichterstattung sicherlich kein realistisches Bild des Alltags wiedergibt, ist jeder einzelne Fall ernst zu nehmen. Die Konsequenzen für die Betroffenen können durchaus fatal sein, von nachhaltiger Traumatisierung bis hin zu körperlichen Verletzungen oder gar (erweitertem) Suizid.

Durch den Umstand, dass sich Mobbing oft in den Schulen abspielt, sind hier vor allem die Lehrkräfte gefragt. Wird in der Klasse ein solches Problem sichtbar, kann man relativ frühzeitig einschreiten und die Situation thematisieren. Sei es in Einzelgesprächen mit den Betroffenen, oder als Thematisierung in der ganzen Klasse. Das ist leider nicht selbstverständlich und erfordert Courage und Engagement der Lehrkräfte.

Eltern sind hier genauso in der Pflicht. Anzeichen auf Mobbingsituationen sollten nicht leichtfertig abgetan werden, sondern es muss hingeschaut und nachgefragt werden.

Ebenso sollten Schüler für die Tragweite des Problems sensibilisiert und ermutigt werden, dazwischen zu gehen, wenn jemand gemobbt wird.

Als anderer wichtiger Aspekt ist zu vermitteln, dass eigene Ängste und Schwächen normal sind. Wenn man lernt, damit umzugehen, kann man auch die des anderen besser verstehen und akzeptieren.

Ein gelungenes Projekt namens „itgetsbetter“ gibt es in den USA. Das wird von vielen Prominenten bis hin zum Präsidenten getragen. Es zeigt die Perspektive auf, dass sich nach der Schulzeit alles grundlegend ändert und Demütigungen nicht ein Leben lang anhalten.

Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wer ständig mit Versagensängsten und Perspektivlosigkeit aufwächst, muss das irgendwie kanalisieren. Wenn Andersartigkeit als bedrohlich und verachtenswert propagiert wird, führt das logischerweise zu größerer Feindseligkeit gegen vermeintliche Außenseiter.

Da muss sich jeder Einzelne fragen, in was für einer Gesellschaft er gerne leben möchte und auch seinen politischen Einfluss entsprechend geltend machen. Viel wichtiger ist aber, Toleranz und Akzeptanz vorzuleben. Wir brauchen eine tolerantere Gesellschaft, der Verantwortung dafür sollte sich jeder bewusst sein.

Die einfache Lösung gibt es jedenfalls nicht.

Nachwort

An dem Text haben verschiedene Leute aus dem erweiterten Spackeria-Umfeld mitgewirkt und wertvollen Input geliefert. Besondern Dank an Birgit für die Innenansichten, wie im pädagogischen Alltag mit Mobbing umgegangen wird. Zu den rechtlichen Betrachtungen im Text: Ich bin kein Jurist.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Antworten zu Betrachtungen zu isharegossip & Co

  1. damianduchamps schreibt:

    Mobbing im Bereich Schule ist, wie im Artikel richtig festgestellt wird, ein grundsätzlich gesamtgesellschaftliches Problem und muss vor allem als solches angegangen werden. Was von Angesicht zu Angesicht im Schulalltag geschieht, setzt sich ins Internet fort, nicht erst seit isharegossip. Schon seit Jahren haben Schulen regelmäßig mit den Auswüchsen von Mobbing auf von Schülern frequentierten Sozialplattformen zu tun. Das beginnt bereits, was viele vermutlich nicht einmal ahnen, in der Grundschule. In der Regel kommt es über Beschwerden von Eltern oder die betroffenen Schüler in den Blickfeld der jeweiligen Schule. Die ist dann gefordert und muss, wie im Beitrag beschrieben, aktiv werden. Manche Schulen arbeiten über Mobbing Projekte präventiv. Verhindern kann man es trotzdem nicht. Wie so schön von Guido Brombach beim 3. ADZNRW Treffen am Wochenende gesagt, wissen auch alle, dass es schlecht ist, sich zu verprügeln und trotzdem kommt es vor.
    isharegossip stellt sicherlich den extremsten Auswuchs dieses gesellschaftlichen Phänomens namens Mobbing dar. Nach ihrer ersten kurzen Popularität und der Zwangspause danach, ist die Plattform nun wieder auferstanden. Sie wird durch den Medienrummel jetzt sicherlich sehr schnell größeren Zulauf erhalten und noch mehr Einträge. Gleichzeitig werden sich aber auch mehr Schüler daran machen, die Plattform zuzuspammen. Den Betreibern ist es letztlich egal, denn alles, was sie interessiert ist Traffic, der sich in Form von werbefinanzierten Einnahmen niederschlägt. Ich prognostiziere der Plattform keinen bleibenden Erfolg. Sie wird noch einmal eine kurzes Strohfeuer an Interesse erwecken und dann nach und nach in die Bedeutungslosigkeit verschwinden. Letztlich funktioniert sie als Mobbing Portal nur, wenn sie ausreichend viele Besucher anzieht. Das aber wird sie auf Dauer nicht schaffen. Schulen und Eltern können ihren Beitrag dazu leisten, indem sie Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit und ihren Sozialkompetenzen stärken.

  2. Jens schreibt:

    Zur aktuellen Diskussion rund im isharegossip wurde eine Berliner Initative gegen Cyber-Mobbing gegründet. Zu erreichen unter http://www.ihategossip.org

  3. Pingback: Warum freies Internet wichtiger ist als fliegende Autos | Die datenschutzkritische Spackeria

  4. Pingback: OpenLeaks und warum anonyme Kommunikation so wichtig ist « Fabio Reinhardt

Hinterlasse einen Kommentar