Die Entdeckung der Langeweile

„Ich will, dass meine Daten geschützt sind, denn ich habe sehr wohl etwas zu verbergen.“ So oder ähnlich kulminieren viele Argumente pro Datenschutz in einem Plädoyer für die eigene Besonderheit. Das Individuum mit dem Leben eines Geheimagenten in dessen Leben jeder Tag noch besonderer ist als der vorherige.

Im Gegenzug wird gerne argumentiert, dass weitgehende Offenheit privater Details (bis hin zu Postprivacy) nur von Menschen mit langweiligen Leben gelebt wird. Frank Rieger bringt es treffend auf den Punkt:

Bei Licht betrachtet ist diese Argumentation eine ökonomische: In unserer vielzitierten „Aufmerksamkeitsökonomie“ ist die Ressource, welche potentiell die Grundlage für Aufmerksamkeit sein kann – die Besonderheit, das Spannende – von besonderer Bedeutung. Wie schon in der Debatte um HartzIV knüppeln keineswegs die sehr Reichen auf die Armen ein sondern die Mittelklasse versucht sich mit Gewalt nach unten abzugrenzen.

Wir sehen hier ein sehr analoges Muster: Menschen, deren Leben von außen betrachtet genauso fad ist, wie das aller anderen, erklären der Welt ihre eigene Besonderheit und damit natürlich auch ihre Nicht-Zugehörigkeit zum Besonderheits-Prekariat.

Denn von außen gesehen ist jedes Leben auf seine Art langweilig, durchsetzt von Routinen, für die Betrachter unerklärliche Prioritätssetzungen und Trivialitäten. Wir kennen das selbst vielleicht aus Urlauben: Nach der anfänglichen Aufregung und Faszination schleicht sich nach einiger Zeit selbst an den faszinierendsten Orten Routine ein, bilden sich Muster, die häufig denen des Alltags ähneln.

Die Erkenntnis der Langweiligkeit der Mitmenschen ist allerdings keineswegs deprimierend, sondern befreiend: Die Normalität und oft auch Trivialität der Leben der Menschen um uns herum entbindet uns von dem Zwang, selbst auch irgendwelche unerreichbaren Besonderheitsziele zu erreichen. Sie entbindet uns davon, mit unseren Mitmenschen in konstantem Wettbewerb nicht nur um ökonomische Ressourcen („Mein Haus, mein Auto, mein Boot“) sondern auch noch um eine irgendwie von außen bestätigte valide Besonderheit unserer Existenz zu treten.

Die Abgrenzung voneinander, die Trennung in Klassen, der Wettbewerb macht es uns schwer uns solidarisch, gemeinsam zu begreifen. In sich gegenseitig übertreffenden Proklamationen der eigenen Unvergleichbarkeit verstecken wir das, was uns ähnlich macht, was uns zusammen bringen kann, was uns helfen kann uns nicht ausgegrenzt zu fühlen, hinter Masken.

Wir machen uns als Gesellschaft, als Community dadurch opak, undurchschaubar und nehmen uns langfristig die Möglichkeiten uns zu verknüpfen. Denn unser Ziel sollte es sein, dass alles langweilig wird: Homosexualität? Langweilig. Poly-Beziehungen? Langweilig. Wer was mit wem macht? Langweilig. Denn „langweilig“ bedeutet auch Alltag. Bedeutet auch, dass es nicht mehr zur Ausgrenzung taugt. Bedeutet auch, dass sich ganz offen Gruppen bilden können, die auch noch so langweilige Dinge tun, und Niemanden kümmert es. Denn es ist langweilig.

„Andere kochen auch nur mit Wasser“ sagt der Volksmund, wenn es um zu viel Ehrfurcht vor anderen und deren Leistungen geht. „Andere sind auch nicht besonderer“ ist das, was wir noch zu verstehen haben.

Über tante

Sociotechnologist, writer and speaker working on tech and its social impact. Communist. Feminist. Antifascist. Luddite.
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4 Antworten zu Die Entdeckung der Langeweile

  1. mdeimann schreibt:

    So schlüssig die Argumentation zu Auswirkungen von Langeweile durch Post Privacy auch dargestellt wird, bin ich mir nicht sicher, ob die Vorannahme “ Zwang, selbst auch irgendwelche unerreichbaren Besonderheitsziele zu erreichen“ noch gültig ist. Zwar gibt es immer wieder Diskussionen zur „Leistungsgesellschaft“ und den Auswirkungen des „Turbo-Kapitalismus“, doch daneben ist doch auch so etwas wie die „Post-Moderne“ entstanden, die uns neue Nischen eröffnet und insgesamt das lineare Fortschrittsdenken („Wachstum“) in Frage stellt. Es gibt also nicht mehr nur die eine „Geschichte“ oder Narrative, sondern viele, nebeneinander existierende (Pluralismus).

    Dadurch erschweren sich auch Gruppenzusammengehörigkeit und Communities, als Beispiel aus dem Fernsehen vielleicht noch der Tatort am Sonntagabend, der eine rege Diskussion auf Twitter auslöst.

    Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung durch soziale Medien befördert die Bildung von Gruppen, gleichzeitig behindert sie es aber auch. Sie unterstützen nämlich die Einzigartigkeit eines jeden, dadurch dass es keine fest verbindlichen Nutzungsweisen von Twitter, FB etc gibt. Zwar gibt es Regeln, wie man möglichst viele Follower bekommt, doch das ist kein verbindliches Erfolgsrezept.

    Langeweile spielt dabei dann eine wichtige Rolle, denn durch diese Vielfalt ist natürlich nicht alles gleich attraktiv für mich, sondern manches einfach gähnend langweilig…..

  2. Muriel schreibt:

    Ich stimme deiner Zielsetzung durchaus zu, auch wenn ich selbst Zeit meines Lebens immer fest gestellt habe, dass andere Menschen mir immer umso ungewöhnlicher und fremdartiger vorkamen, je näher ich sie kennen lernte. Nicht unbedingt interessanter dadurch, aber dieses „Der ist ja wie ich“-Erlebnis fehlt mir bisher…

  3. Pingback: http://blog.spackeria.org/2012/12/21/die-entdeckung-der-langeweile/ | Die wunderbare Welt von Isotopp

  4. Pingback: drikkes » Blog Archive » Lesen wie in einem arschoffenen Buch

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