Don’t shoot the messenger

Die Community ist mal wieder empört. Auf dem Europäischen Polizeikongress sprach der BKA Vizepräsident Jürgen Maurer über „Cyber-Kriminalität“ und fügte en passant den Kommentar hinzu: „Wer im Internet ist, hat den Privatraum verlassen und befindet sich quasi im öffentlichen Raum.“

Der Spiegel sieht in seiner Onlineausgabe mit diesem Satz die Grundrechte gekippt und zieht Parallelen zu Kommentaren von Managern von Google und Facebook.

Doch so unangenehm das sein mag, so konsequent ist die Deutung, die Maurer aus den technischen Eigenschaften des Internets zieht: Alles, was ich für andere lesbar ins Internet schreibe, ist als öffentlich zu betrachten. Nicht immer entfaltet sich diese Öffentlichkeit mit voller Wucht. Millionen von Facebook Einträgen werden von niemandem gelesen genauso wie viele Blogs, Tweets und andere Datenschnippsel. Doch jeder dieser Datenpunkte hat das Potential um die Welt zu gehen und von riesigen Menschenmengen oder Algorithmen gelesen zu werden.

Dabei sprechen wir gar nicht davon, ob das gut oder schlecht ist. Es ist einfach eine Eigenschaft des Dinges an sich: Was gesehen werden kann, kann beliebig weiterverbreitet werden, auch von Menschen und Algorithmen, die wir weder kennen, noch mögen.

Jeder Mensch kann meinen Twitterfeed abgreifen und jeden einzelnen Tweet weiterverarbeiten. Das können die Menschen die mich mögen und auch die, die mich für komplett bescheurt halten. Ich habe da keine Kontrolle, ich habe da nicht einmal irgendeinen Einfluss drauf. Ich weiß nicht, wer meine öffentlichen Inhalte speichert, wer sie indiziert und wer daraus welche richtigen oder falschen Schlüsse zieht. Und selbst in reglementierteren Netzen wie z.B. Facebook weiß ich nie, wer Screenshots oder Kopien eines Posts von mir gemacht hat. (@mspro nennt dieses Phänomen gerne Kontrollverlust)

Und deshalb sind Herr Maurers Schlüsse durchaus aus den technischen Gegebenheiten ableitbar: Das Internet ist so gebaut, dass Daten, die man reinkippt kopiert werden und man jegliche Kontrolle über sie verliert. Das nervt die Urheberrechtsverwerter genauso wie die Menschen, die Daten über sich kontrollieren wollen.

Nun kann man sagen, dass ein reines Schließen aus den Gegebenheiten nicht zulässig ist, dass die Grundrechte in jedem Teil der Welt gleich zu gelten haben. Dann muss man sich aber der Frage stellen, wie man die technologischen Grundlagen der Kopiermaschine Internet so verändern will, dass die Kontrolle über den Datenfluss bei für jedes Datum klar bestimmten Menschen liegt.

Für die Polizei könnte man natürlich  eine rechtliche Schranke fordern und Polizisten per Gesetz in ihrem Datenzugriff einschränken. Doch wie genau die Einhaltung dieser Schranke durchzusetzen sein soll, wenn moderne Suchmaschinen mehr und mehr soziale Informationen integrieren und bei Eingabe des Namens einer Person automatisch die letzten Tweets, Posts und Nachrichten auflisten, ist mir schleierhaft.

Herr Maurer hat einen für viele unangenehmen Schluss aus den technischen Gegebenheiten gezogen. Ihn dafür anzugreifen, dass er die Technologie verstanden hat, ist falsch.

Über tante

Sociotechnologist, writer and speaker working on tech and its social impact. Communist. Feminist. Antifascist. Luddite.
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12 Antworten zu Don’t shoot the messenger

  1. @wasMitNetzen schreibt:

    Nur weil man etwas machen kann (hier: Als Staat mit Gewaltmonopol die verfügbaren Daten über die Bürger verwerten), heißt das nicht, dass man es auch machen soll.

  2. lape schreibt:

    Für Veröffentlichungen bestreitet das wohl keiner ernsthaft, nur verstehe ich Herrn Maurer so, als wenn er die Aufhebung der Privatheit schon beim passiven Lesen, Bewegen, Konsumieren sieht. Vorratsdatenspeicherung eben. Und das ist nicht in Ordnung.

  3. Wolfgang Ksoll schreibt:

    Du sagst: „Alles, was ich für andere lesbar ins Internet schreibe, ist als öffentlich zu betrachten.“ Das ist erst mal falsch. Ich schicke meine Mail ins Internet mitnichten mit der Absicht, dass die öffentlich sei.

    Das hat der Mann vom BKA aber nicht gesagt. „Wer im Internet ist, hat den Privatraum verlassen und befindet sich quasi im öffentlichen Raum.“

    Das ist was ganz anderes. Das umschließt auch die vom BKA ohne Rechtsgrundlage durchgeführte Beschnüffelung von Skypekommunikationen die besonders verschlüsselt sind und mehr. Also in Deutschland erst mal eine Straftat. Die Aussage wäre zu vergleichen mit der Negierung des Briefgeheimnisses: Alles, was bei der Post oder der PIN AG ist, ob Brief oder Postkarte, ist im öffentlichen Raum.“ Dieser Mann sägt am Rechtsstaat und kann das nur, weil wir keinen funktionsfähigen Verfassungsschutz haben, wie wir bei der NSU gesehen hat, wo das BKA nach Aussagen von Präsident Ziercke versagt hat (der sich zu der Zeit, als man die Mörder suchte lieber damit beschäftigte mit Ursula von der Leyen Kinderpornografie vor Journalisten vorzuführen, nicht aus Fahndungszwecken, sondern um Propaganda für eine Totalüberwachung des Webs zu machen (Zugangsgserschwerungsgesetz). Jeder hat so seine Prioritäten, die einen suchen Mörder, das BKA zeigt lieber Kinderpornos. Das war schon zu Horst Herolds Zeiten so: der machte lieber Rasterfahndung als sein Amt so zu organisieren, dass Hinweise auf Mörder verarbeitet werden konnten. Hans-Martin Schleyer musste deshalb so sterben wie die Opfer der NSU. Seit 30 Jahren keine Änderung.

    Die Aussage ist also eine ganz andere: Brief- und Postgeheimnis haben für das BKA keine Wirkung. Man betrachtet das Internet als rechtsfreien Raum. Das ist was ganz anderes als die Frage, was man mit veröffentlichten Daten machen darf. Das aber ist so banal wie die Feststellung, dass auch das BKA in öffentliche Bibliotheken gehen darf, um dort in Büchern und Zeitungen zu lesen. Das hat er aber gar nicht gesagt, sondern was ganz anders. Das solltest Du nicht durcheinander werfen. Bei diesen Herrschaften, die die Bevölkerung nicht vor der NSU schützen konnten, ist besondere Vorsicht angezeigt.

  4. Michael Seemann schreibt:

    Moment mal: Maurer argumentiert so aber, um die Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen. Und diese Daten – die Zuordnung von IP und Nutzerdaten – sind – zumindest derzeit – eben _nicht öffentlich_. Maurer geht es eben nicht um die Öffentlichkeit im öffentlichen Raum, sondern um die Delegitimation von Anonymität und Pseudonymität im Netz. Den Schluss halte ich für unzulässig.

    • leitmedium schreibt:

      Warum Maurer so argumentiert, ist doch nicht der Punkt des Textes. Du falsifizierst damit einen Text bzw. ein Zitat wegen seiner Intention und nicht wegen seiner Aussage. Tante hat nicht geschrieben „Ja, bitte VDS und De-Anonymisieren“ sondern lediglich eine recht durchgekautete Position wiederholt: Ja, im Netz muss man damit rechnen, nicht zu wissen, was mit den eigenen Daten geschieht. Und so steht es auch im SpOn-Artikel:

      „»Wer im Internet ist, hat den Privatraum verlassen und befindet sich quasi im öffentlichen Raum.« Die Äußerung des BKA-Vizechefs ist radikal, er stellt die Gültigkeit von Grundrechten im Netz in Frage. Das BKA bestätigt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE den Wortlaut. Wie viele sogenannte Post-Privacy-Aktivisten ist Maurer der Ansicht, man solle grundsätzlich jede Aktivität im Netz als öffentlich betrachten. Dann weiß jeder Nutzer, woran er ist …“

      aber ja, der Artikel führt dann in eine andere Richtung:

      „… und Ermittler und Konzerne können beispielsweise im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung IP-Adressen zu jeder aufgerufenen Seite, jeder Äußerung in Foren und jeder Online-Bestellung registrieren lassen. Laut Heise stellte Maurer seine Forderung auch in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung: Dementsprechend sei die Speicherung der IP-Adressen dann nicht problematisch.“

      Was ein anderes Thema ist. Weil man das nun schlecht findet, kann man natürlich das eigentliche Zitat skandalisieren, tut sich damit aber keinen Gefallen. (Vielleicht sollte man Maurer lieber beim Wort nehmen und Rechte einfordern, die der „öffentliche Raum“ mit sich bringt.) Das Problem ist, dass die Kritik an der falschen Stelle der Aussage ansetzt. Es geht nicht um die Feststellung, dass man im Netz öffentlich ist, sondern welche Rechte man den Ermittlungsbehörden einräumen will.

      • Michael Seemann schreibt:

        Ich will auch nicht tantes und Maurers Aussage anzweifeln. Aber wenn man diese Aussage analysiert, sollte man auch den Kontext mitthematisieren, in der sie gefallen ist. Gerade, wenn die Aussage illegitimer Weise dazu benutzt wird, die Vorratsdatenspeicherung zu zu verargumentieren. Darauf wollte ich hinweisen.

  5. tomhartigMoosbett schreibt:

    Das mag jetzt auch auf die ganze Post-Privacy-Einstellung zutreffen, aber verstehe ich eure Logik tatsächlich so: Weil man seine Privatsphäre nicht 100% schützen kann, sollte man sie einfach aufgeben?

    Denn nur weil es in der Tat so ist, dass theoretisch meine Daten von unliebsamen Dritten ausgelesen werden können (und oft werden) muss man es sich nicht einfach machen und das deswegen einfach erlauben und sagen „Selber schuld“. Verbrecher könnten auch Kameras in meinem Schlafzimmer oder im Boden von öffentlichen Toiletten installieren. Ebenso wie beim Internet gibt es hier nicht wirklich eine Wahlfreiheit, diesen ernannten öffentlichen Raum einfach zu meiden. Nur weil man Dinge nicht 100% geheim halten kann, muss man nicht alle Geheimnisse offenlegen.

    Natürlich könnt ihr sagen ihr wollt hier das Zitat im Kontext von „Wer was twittert muss sich nicht wundern wenns gelesen wird“ behandeln, das finde ich aber reichlich unpassend. Der Fokus sollte sich doch nun wirklich darauf richten, dass gefordert wird, dass ein mir versprochener Schutzraum (nicht mehr nur von Kriminellen sondern auch) von Staatsseite mit System aufgebrochen wird.

    Privatssphäre betrifft btw trotz meines Beispiels nicht nur körperliche Peinlichkeiten (da kann man argumentieren dass da ja zurecht Schamgrenzen einfachen verschwinden), sondern eben teilweise auch Beziehungen, Berufschancen oder gar Leib- und Leben.

  6. V. schreibt:

    Zwei Anmerkungen: 1. Ihr solltet euch dessen bewusst sein, dass „Herr Maurer“ auf dieser Veranstaltung gerade KEINEN technischen oder netzphilosophischen Vortrag gehalten hat. Es geht ganz klar um politische Positionen und Forderungen in Bezug auf polizeiliche Eingriffsbefugnisse. Insofern wäre eine differenziertere Auseinandersetzung damit sehr wünschenswert. Daher geht auch die Begründung „Dabei sprechen wir gar nicht davon, ob das gut oder schlecht ist.“ fehl, denn ein politischer Diskurs / Analyse sollte sich auch mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Maurers These beschäftigen. Oder sieht sich die Spackeria als unpolitisch? („Das Private ist politisch“) 2. Außerdem wird doch gerade von Seiten des BKA bzw. des Staates damit argumentiert, dass das Internet kein „rechtsfreier Raum“ sein darf. Insofern wäre auch eine Interpretation von Maurers Aussage in diese Richtung zumindest widersprüchlich. Warum sollte also einerseits die Durchsetzung von Urheberrechten oder Strafvorschriften möglich sein, aber andererseits kein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung oder Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gelten? Mit einer Dichotomie als Erklärungsmuster kommt mensch hier also nicht weiter. Mir ist auch unklar, weshalb du (@tante) die Durchsetzung von rechtlichen Schranken bei der Polizei für schleierhaft hältst. Stellst du damit den Rechtsstaat insgesamt infrage oder hoffst du auf eine Technologie für deren Durchsetzung? Für den Einsatz von Schlagstöcken und Reizgas gibt es doch auch keine technische sondern „nur“ eine gesetzliche Beschränkung (UZwG).

  7. Skythe schreibt:

    Viele Fehlschlüsse im Text wurden hier schon angesprochen, einen möchte ich noch ergänzen: Wenn ich etwas im Internet veröffentliche, verliere ich ein Stück weit die Kontrolle über dessen Verbreitung. Ich verliere NICHT die Kontrolle über meine persönlichen Daten (Name, Anschrift, Alter, sexuelle Ausrichtung). Um diese persönlichen Daten geht es Maurer und anderen Big-Brother-Fans.

  8. Pingback: „Post-Privacy ist sowas von Eighties“ « Kritikresistenz

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